
NACHWORT ZUM BUCH
EUROPA, DEINE TOTEN
Wir leben in einer Zeit, in der europäische Politiker, das Gesicht zur Faust geballt, Flüchtende als „Touristen“ und Schutzbedürftige als „Menschenfleisch“ bezeichnen. In einer Zeit, in der Ehrenamtliche vor Gericht gestellt werden, weil sie Ertrinkende aus dem Wasser retteten, während Staaten ihrer Pflicht nicht nachkamen und die europäischen Regierungen alle staatlichen Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer eingestellt haben. In der Menschenwürde viel zu oft unwidersprochen als linker Kampfbegriff diffamiert wird. Wir teilen eine Aussage, die häufig als populistisches Instrument missbraucht wird: In unserer Zeit geht es nicht länger um links oder rechts. Wir sind, und das ist furchtbar, an einem Punkt in der Debatte angekommen, an dem wir nicht mehr darüber reden, ob und wie die Integration schutzbedürftiger und neu angekommener Menschen in unserem Land gelingen kann. Europa diskutiert darüber, ob man Menschen leben oder sterben lassen soll.
KRISTINA MILZ UND ANJA TUCKERMANN, IN: TODESURSACHE: FLUCHT. EINE UNVOLLSTÄNDIGE LISTE, BERLIN 2018

PORTRÄT ÜBER JAMAL NASSER MAHMOUDI
EINER AUS 69
„Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag – das war von mir nicht so bestellt – sind 69 Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden. Das liegt weit über dem, was bisher üblich war.“ Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer sagte dies bei der Vorstellung seines lange angekündigten und mit Spannung erwarteten „Migrationsplans“ in Berlin. Zuvor hatte er die Arbeit der Großen Koalition tagelang mit seiner Rücktritts„drohung“ und schließlich mit der wahrgemachten Drohung seines Nicht-Rücktritts lahmgelegt. Seehofer, offenbar auch in den angespanntesten Situationen stets für einen Scherz zu haben und mindestens genauso gut informiert, feiert seine Geburt jährlich am 4. Juli. Der Abschiebeflug, über den er sprach, ging aber bereits am Tag zuvor. Für eine afghanischstämmige Familie im Iran ist der 4. Juli sicher kein Tag zum Feiern mehr: Es ist der Todestag von Jamal Nasser Mahmoudi, einem 23-jährigen Mann, der lange in Deutschland lebte, bevor die Politik sich entschied, ihn in die Hauptstadt Afghanistans zu bringen…
IN: TODESURSACHE: FLUCHT. EINE UNVOLLSTÄNDIGE LISTE, BERLIN 2018

PORTRÄT ÜBER AMAD AHMAD
DIE VERWECHSLUNG
Im Hochsommer eines heißen Jahres, am 6. Juli 2018, wird der 26-jährige Syrer Amad Ahmad in Geldern festgenommen. Im goldenen Herbst ist er tot. Er liegt auf dem Bonner Nordfriedhof begraben. Bei seiner Beerdigung trägt sein Vater, der im Internet von seinem Tod erfuhr, ein bemaltes Stück Stoff über dem Hemd: „Wer ist der Mörder unseres Sohns?“ steht darauf. Während der Trauer am offenen Grab wehen kurdische Fahnen. Politiker aus der ersten Reihe der nordrhein-westfälischen Landespolitik sind auch da: zwei Minister und drei Landtagsabgeordnete. Amads Mutter kann nicht da sein, obwohl die Landesregierung ein Visum für sie organisiert hat. Die Türkei verweigert ihr und anderen Familienmitgliedern die Ausreise. Amad, der junge Mann aus Aleppo, ist verwechselt worden...
IN: TODESURSACHE: FLUCHT. EINE UNVOLLSTÄNDIGE LISTE, BERLIN 2019 (2. AUFLAGE)

PORTRÄT ÜBER SUZAN HAYIDER UND IHRE KINDER
„ES IST DER SCHLIMMSTE FALL MEINES LEBENS“
Der 32-jährige Salah J. hat seinen Sohn nie kennengelernt. Nie durfte er ihm über den schwarzen Haarflaum auf dem kleinen Kopf streichen, nie in seine großen dunklen Augen sehen. Das Baby ist in der Ägäis gestorben, mit ihm seine dreijährige Schwester und seine Mutter. Sie war Salahs Frau, ihr Name war Suzan. Ende März 2017: Salah ruft seine Frau an. Er sorgt sich, zu lange hat er nichts von ihr und den beiden Kindern gehört. Der Anruf wird angenommen. Er hört eine fremde Stimme. Deine Familie ist tot, sagt sie...
IN: TODESURSACHE: FLUCHT. EINE UNVOLLSTÄNDIGE LISTE, BERLIN 2018

KUBICKI ZUR SYRIEN-POLITIK DER BUNDESREGIERUNG
„WEDER SYRIEN NOCH DIE FLÜCHTLINGSPOLITIK ENTSCHEIDEN DIE WAHL“
Die SPD wirft der Regierung Versäumnisse in Syrien vor. Nun meldet sich ein FDP-Mann zu Wort, der sich in der Außenpolitik bisher eher zurückhielt: Wolfgang Kubicki.
IN: ZENITH.ME, 6.9.2013

MINDERJÄHRIGE FLÜCHTLINGE IN MÜNCHEN
„ALS OB WIR TIERE WÄREN“
Auf seiner Flucht nach München wurde er verprügelt und eingesperrt. Gerade 16 Jahre war der Afghane Ahmad A. damals alt. Heute hat er ein neues Leben in Deutschland, doch seine Vergangenheit beschäftigt ihn noch immer.
IN: SÜDDEUTSCHE.DE, 5.10.2011