Er ist heute den wenigsten bekannt, dabei war Max Süßheim (1876–1933), der weitsichtige „Sozi in Lederhose“, nicht nur der – bis heute – letzte jüdische Landtagsabgeordnete Bayerns, sondern auch ein wichtiger Kopf der Revolution von 1918/19 und ein omnipräsentes Hassobjekt der frühen Nationalsozialisten. Als linker Jude war Süßheim besonders vulnerabel, doch der Mut des gelernten Anwalts war erstaunlich: In den 1920er Jahren kämpfte er in aufsehenerregenden Prozessen gegen die rechte Bewegung. Durch seinen frühen Tod im März 1933 blieb Süßheim erspart, was für viele seiner Genossen folgte: Verfolgung, Konzentrationslagerhaft, Mord. Nach der Biografie über den Orientalisten Karl Süßheim beschäftigt sich Kristina Milz auch mit dessen Bruder, dem nahezu vergessenen SPD-Poltiker.
GENESE EINES FEINDBILDS
DER JÜDISCHE SOZIALDEMOKRAT MAX SÜẞHEIM UND SEINE GEGNER
Im frühen Stürmer ist der Nürnberger Max Süßheim omnipräsent: Mitte der 1920er Jahre kam kaum eine Ausgabe des Hetzblatts ohne den Sozialdemokraten als Motiv aus, der als Anwalt zu den frühen Gegnern des Nationalsozialismus gehörte. Als Politiker hatte Süßheim zuvor eine wichtige Rolle in der Revolution von 1918/19 gespielt; bis heute ist er der letzte jüdische Landtagsabgeordnete Bayerns geblieben. Wie konnte eine solche Figur sogar in ihrer eigenen Partei in Vergessenheit geraten? Kristina Milz verortet den jüdischen Sozialdemokraten bürgerlicher Herkunft in einem Aufsatz für die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte im vor- und frühdemokratischen Bayern und legt dabei die identitätszentrierte Argumentationslogik seiner Gegner offen, die Süßheim von links wie rechts stets auf seine Herkunft zurückwarf.
IN: VIERTELJAHRSHEFTE FÜR ZEITGESCHICHTE 4/2023
➔ zum Text (Free Access bis zum Erscheinen des nächsten Hefts)
Als einer der profilierten politischen Intellektuellen in Bayern zur Weimarer Zeit hat er dem NS-Pornografen und späteren „Frankenführer“ Julius Streicher wie kaum ein anderer die Stirn geboten, obwohl der ihn in seinen Nazipostillen unaufhörlich besudelt, verhöhnt und verunglimpft hat. Sein Name aber, Max Süßheim, ist heute ein Fall für Spezialisten, während seine Zeitgenossen Gustav Landauer, Erich Mühsam oder Ernst Toller allgemein geläufig sind. Woran das liegt? Die Historikerin Kristina Milz vom Münchner Institut für Zeitgeschichte ist der Frage jetzt nachgegangen.
OLAF PRZYBILLA: IM WIDERSTAND – UND FAST VERGESSEN, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 23./24.9.2023
Die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) gehören zu den traditionsreichsten und auflagenstärksten historischen Zeitschriften Europas. Im VfZ-YouTube-Format „Ins Heft gezoomt“ stellt die Redaktion ein Thema der neuen Ausgabe anhand eines Gesprächs mit einer Autorin oder einem Autor des Hefts vor. Für das Oktober-Heft 2023 hat Thomas Schlemmer (Chefredakteur der VfZ) Kristina Milz eingeladen, ihre Thesen im Video-Gespräch vorzustellen.
Weitere Veröffentlichungen
EIN POLITIKER UND SEINE PARTEI
MAX SÜßHEIM (1876–1933)
„Ich gehe einstweilen hinaus, damit ich das blöde Gesicht nicht mehr anschauen muss.“ Diesen Satz schleuderte ein Nationalsozialist dem SPD-Politiker Max Süßheim 1925 im Nürnberger Stadtrat entgegen – Zustände in einer jungen Demokratie, die noch ein paar Jahre zuvor kaum einer für möglich gehalten hätte. Süßheim selbst allerdings warnte schon lange vor einer entfesselten Rechten. „Noch sind große Aufgaben zu lösen“, hatte er seine Genossen 1920 gemahnt: „Deutlich machen sich die Anzeichen bemerkbar, daß unter dem Deckmantel ‚nationaler Gesinnung‘ […] die Kräfte der Reaktion gesammelt werden.“ In weiten Kreisen seiner Partei werde die Gefahr von rechts unterschätzt…
IN: EINSICHTEN+PERSPEKTIVEN 2/2023
Titelfoto: Max Süßheim (Privatnachlass Karl Süßheim, Margot Suesheim (†), New York, und Familie).